Schmerz – zwischen Warnzeichen und sinnloser Qual

© Krankenhaus-Johanneum

Am 20. April 2005 hielt Herr Dr. Risse, Chefarzt der Intensiv- und Anästhesieabteilung am Krankenhaus Johanneum, für Interessierte einen Vortrag zum Thema „Wenn der Schmerz das Leben bestimmt“. Die wichtigsten Inhalte seines Vortrages wurden von ihm im nachfolgenden Text zusammengefaßt: Schmerzen gehören zu den Grunderfahrungen des menschlichen Lebens. Vom akuten Schmerz, der als Wundfunktion des Körpers bei eingetretenen Störungen z.B. auf einen entzündeten Blinddarm hinweist und damit zur Erhaltung der Gesundheit dient, ist der chroni-sche Schmerz, der diesen Sinn verloren hat, zu trennen. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass lange bestehende, unzureichend behandelte Schmerzen zu nachweisbaren Änderungen der Verschaltungen der Nervenzellen und chemischen Überträgerstoffe im Hirn führen, die als Ursache für später nur noch schwer behandelbare Schmerzen anzusehen sind. Es bildet sich ein „Schmerzgedächtnis“ aus. Hieraus leitet sich die Forderung nach frühzeitiger Behandlung des Schmerzes ab, bevor er sich chronifiziert. Allgemein kann als Richtlinie gelten, dass Schmerzen, die länger als drei Monate bestehen, bezüglich ihrer Ursache abgeklärt und behandelt werden sollten. Hat sich ein chronischer Schmerz im „Schmerzgedächtnis“ des Betroffenen fixiert, spricht man von „Schmerzkrankheit“. Die Hautoberfläche des menschlichen Körpers ist nach der normalen Empfindungsfähigkeit im Hirn repräsentiert. Dabei nehmen empfindliche Oberflächen des Körpers, wie z.B. Hände und Lippen große Areale ein, während weniger wichtige Areale wie Rücken oder Kopfoberfläche nur kleinere Bezirke belegen. Durch neue Forschungen ist festgestellt worden, dass bei Kopfschmerzpatienten die Repräsentationsbezirke für den Kopf extrem ausgeweitet sind, bei Rückenschmerzpatienten sind es die Areale, die den Rücken repräsentieren. Man kann also sagen, dass durch chronische Schmerzen die längere Zeit bestehen, eine größere An-zahl schmerzleitender Nervenfasern zugunsten der schmerzenden Region aktiviert werden. Nun ist also eine wissenschaftliche Erklärung für das in der Schmerztherapie bekannte Phänomen gefunden, dass bei manchen Patienten Berührungen, die bei normalen Menschen als nicht schmerzhaft empfunden werden, Schmerzen bereiten. Schmerz ist also erlernbar. Dies haben Psychologen ebenfalls bestätigen können und haben hieraus einige Grundsätze entwickelt. Schmerz und Umgang mit Schmerz wird in der Familie und im täglichen Leben gelernt. Wird ein Kopfschmerzpatient bei Kopfschmerzen von seiner Umwelt übermässig geschont und bedauert, führt dies eher zur Chronifizierung der Kopfschmerzen. Der Patient wir auf großen Stress häufiger mit Kopfschmerz reagieren als die Normalperson. Wenn daraufhin Schonung mit Fortfall des Stresses erfolgt, lernt das Hirn der Person unbewußt, in unangenehmen Situationen mit Kopfschmerz zu reagieren. Solche Modulationen sind prinzipiell für jede Art des Schmerzes möglich. Schmerzempfindung ist von der Gesamtsituation des Patienten abhängig. Ein Patient, der sich mit einer geliebten Tätigkeit beschäftigt, verspürt Schmerzen nicht so stark, wie ein Patient, der auf seine Schmerzen wartet. Die innere Einstellung des Patienten zum Schmerz kann durch ergänzende psychologische Betreuung geändert werden und so zur Schmerztherapie beitragen . Schmerz ist also auch wieder verlernbar. Da chronische Schmerzen bei Patienten aller medizinischen Fachbereiche auftreten, ist Schmerz, eine interdisziplinäre Aufgabe. Neben Medizinern sind ebenso Psychologen, Pharmazeuten und Krankengymnasten gefordert. Vor der Behandlung ist die Schmerzdiagnose gestellt, d.h. die Ursache der Schmerzen muss gefunden werden. Hier sind ganz wichtige Fragen, wann, wie oft, mit welcher Stärke und welcher Art sind die Schmerzen. Ein nächtlicher Schmerz im Bein, vor allem im Bett liegend, kann auf eine arterielle Durchblutungsstörung hinweisen. Einträglich auftretender, einseitiger Kopfschmerz ist höchstwahr-scheinlich keine Migräne. Ein einschießender, blitzartiger Schmerz weist auf eine Neuralgie, ein Brennschmerz auf eine vegetative Beteiligung hin. Neben der körperlichen Untersuchung sind häufig Konsiliaruntersuchungen bei Fachärzten notwendig. Nach der Schmerzdiagnose richtet sich die Schmerzbehandlung. Hier haben sich mittlerweile Standards entwickelt, d.h. Therapiekonzepte, die durch Studien ihre Wirksamkeit belegt haben. Besonders wichtig ist es, mit dem Patienten gemeinsam ein realistisches Therapieziel zu erarbeiten, welches sich auch erreichen lässt. Sonst ist die Enttäuschung beim Patienten vorprogrammiert und es kommt zum Wechsel des behandelnden Arztes, zum sogenannten „Arztshopping“. Nicht selten haben Schmerzpatienten wegen ihrer Schmerzen mehr als zehn verschiedene Ärzte aufgesucht und kennen die gängigen Therapien. Hier sind die Voraus-setzungen für eine aussichtsreiche und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Arzt deutlich erschwert. Schmerzfreiheit ist meist nicht realistisch bei länger bestehenden chronischen Schmerzen, eine Schmerzreduktion auf ein erträgliches Maß ist fast in jedem Fall zu erreichen. Chronischer Schmerz hat für den Betroffenen auch eine starke soziale Komponente. Dinge, die er früher gern tat, interessieren ihn nicht mehr. In Zentrum seines Lebens steht sein Schmerz und der Kampf mit ihm. Dies belastet seine Familie und führt ihn in die soziale Iso-lation. Da hierdurch die Empfindung der Schmerzen verstärkt wird beginnt ein Teufelskreis. In diesen Fällen wäre eine psychologische Mitbehandlung oft erforderlich. Leider besteht noch ein Mangel an schmerztherapeutisch erfahrenen Psychologen. Ein besonders wichtiger Bereich ist die Tumorschmerztherapie. Die negativen Gefühle die des Wort Krebs hervorruft, gründen sich nicht nur auf die Angst vor dem tödlichen Ende, sondern auch auf die Furcht vor einem schmerzhaften Siechtum. Zwar kann heute mehr als die Hälfte der Krebserkrankungen geheilt werden, trotzdem sind viele Krebspatienten irgendwann im Laufe ihrer Erkrankung von Schmerzen bedroht, vor allem, wenn sie zu den letztlich doch nicht Heilbaren gehören. Der Tumorschmerz kann durch Einwachsen in benachbarte Gewebe, durch Zerstörungen Knochen, durch Druck auf andere Organe, durch Verschluß von Hohlorganen und durch Reizungen von Nerven entstehen. Zunächst wird man versuchen diese Störung kausal, vom Grunde her anzugehen. Hier kann ein operativer Eingriff, eine Strahlen- oder eine Chemotherapie notwendig sein. Unter diesen Maßnahmen verschwinden in viele Fällen die Schmerzen. Falls dieses nicht oder nicht mehr erreichbar ist, wird das Ziel eine Linderung der Beschwerden gerichtet, es wird eine palliative Behandlung eingeleitet. Die Behandlung richtet sich nach bestimmten Grundregeln. Die Aktivität des Patienten soll geweckt werden. Der Patient soll soweit wie möglich unabhängig von Therapeuten sein. Die Behandlung soll möglichst ambulant durchgeführt werden. Bei der medikamentösen Behand-lung sollen immer erst Medikamente mit den geringsten Nebenwirkungen eingesetzt werden. Bei Tumorpatienten wird das WHO-Stufen-Schema eingesetzt. Es unterteilt in drei Stufen: 1. periphere Analgetika 2. schwache Opioide 3. starke Opioide Je nach Stärke des Schmerzes kann in jeder Stufe eingestiegen werden. Bei starken Opioiden müssen Nebenwirkungen erwartet werden, die in anfänglicher Übelkeit und Erbrechen, Juckreiz, Verstopfung, Atemdepression und Abhängigkeit bestehen können. Übelkeit, Erbrechen und Juckreiz sind nach der Erstphase sehr selten. Verstopfung kann durch die frühzeitige regelmäßige Laxantiengabe verhindert werden. Atemdepression tritt bei Patienten mit starken Schmerzen praktisch nie auf. Ebenso zeigen große Studien mit Schmerzpatienten, dass auf 35.000 Patienten mit einer Abhängigkeitsrate von 7 Patienten zu rechnen ist, also ein verschwindend geringes Risiko vorhanden ist. Die Medikamente sollten zuerst oral eingenommen werden. Falls dies nicht möglich ist, können Opioidpflaster oder Sublingualtabletten verwendet werden. Bei Problemfällen kommen Katheterverfahren, die in Rückenmarksnähe oder im Hirn wirken zur Anwendung, über die einzeln oder mittels Pumpen Opioide verabreicht werden können. Mit diesen Verfahren sollte bei jedem Tumorschmerzpatienten bis zu seinem Tode ein schmerzarmes Leben mit möglichst wenig Einschränkung möglich sein.

Artikel eingefügt am 28.04.2005

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